Reisen

Das Abenteuer meines Lebens: The Track - 520 km durch die australische Wüste

Jetzt, über vier Wochen nach dem Finish am Uluru, fällt es mir noch immer schwer das Erlebte in Worte zu fassen. Es sind so viele Emotionen, Gedanken, Eindrücke, die verarbeitet werden müssen. Und das mit relativ wenigen Worten zu erfassen, fällt mir dieses Mal sehr schwer. Daher ist der Text etwas länger geworden. Ich hoffe, ich langweile euch nicht.

Von Deutschland nach Australien

Das Chaos zu Hause vor der Abreise war ziemlich groß. Auf dem Fußboden haben die sich vorher schön in Kisten aufbewahrten notwendigen Dinge wie Verpflegung, Pflichtausrüstung, Sachen… für den Lauf verteilt, sorgfältig getrennt für Gunnar und mich. Irgendwie musste ja alles ins Handgepäck. Wir wollten kein Risiko eingehen, dass die Koffer eventuell nicht ankommen und wir ohne die Ausrüstung dastehen. Da man nach Australien auch nur bedingt Lebensmittel einführen darf, war die Aufregung doppelt so groß. Ursprünglich haben wir alles in große Rücksäcke und noch zusätzliche Taschen verteilt. Dann haben wir uns doch entschlossen, dass alles irgendwie in unsere Laufrücksäcke zu verstauen. Und es hat auch gut funktioniert. Ich hatte dann noch einen zusätzlichen Rucksack dabei und Gunnar hat Dinge, die wir in Australien kaufen könnten bzw. auf die er auch verzichten konnte im Koffer. Jeder Check In war sehr aufregend. Aber wir sind überall gut durchgekommen. In Sydney wurden wir sogar durch den „priority exit“ durchgelassen. Wir wurden eher etwas als verrückt erklärt und beschmunzelt. Vor allen Dingen ich, als kleine Frau mit dem schweren Rucksack und dann 520 km durchs Outback. Als wir nach dem Schlangennotfallset gefragt wurden, wurde mir aber dann doch etwas anders. Das haben wir natürlich nicht, aber wir haben ja Ärzte mit dabei.  In Sydney auf dem Flughafen haben wir dann Sascha Gramm und Andrea Löw, zwei weitere deutsche Starter, Ian Crafter einen der Helfer, Gurkan Acikgoz ein türkischer Teilnehmer und Gabriel Pielke unser Fotograf getroffen. Jetzt waren wir irgendwie nicht mehr allein und die Vorfreude wurde immer größer. Im Flugzeug hatten wir einen tollen Blick auf das Outback und mir wurde zum ersten Mal so richtig bewusst, dass ich wirklich in Australien und auf dem Weg zum verrücktesten Abenteuer meines Lebens war.

Vorbereitung ist alles

In Alice Springs angekommen, sind wir ins Hotel und haben dann gleich den Supermarkt gesucht. Es mussten ja jetzt noch die fehlenden Dinge wie Nüsse, Datteln, Trockenfleisch, Parmesan eingekauft werden. Schnell wurden wir fündig und so konnte ich endlich mit dem abwiegen und abpacken der einzelnen Tagesrationen von Tailwind, Müsli etc. beginnen. Das war ganz schön zeitintensiv und sah schon lustig aus. Auf dem Hoteltisch verstreute sich ganz leicht immer mehr weißes Pulver. Am Abend haben wir uns dann mit den deutschen Startern getroffen und dann ging es zum letzten Mal für 12 Nächte in ein richtiges Bett. Die letzte Dusche habe ich am nächsten Morgen sehr bewusst genossen. Auch das war ja für die nächsten 12 Tage nicht mehr möglich. Mit Andrea Löw und Sascha Gramm, haben wir dann noch den Vormittag in der Sonne genossen. Und irgendwie zog es uns noch einmal in den einzigen Sportladen in Alice Springs. Zum Glück muss ich sagen. Sascha kaufte sich paar Handschuhe. Wir wussten, dass es kalt werden könnte, aber irgendwie belächelten wir zwei Frauen ihn dann doch. Gunnar hatte aber auch welche mit. Also kauften Andrea und ich auch noch welche. Wir haben es nicht bereut. Gleich am ersten Abend brauchten wir die ganz dringend. Jetzt hieß es aber zum Treffpunkt, unser Gepäck wurde im Bus verstaut und schon ging es los ins Outback nach Ellery Creek.

Es geht los

Unser erstes Camp liegt mitten in den Bergen unweit von einem kleinen See. Das erste was uns allerdings erwartete waren die Fliegen, es kamen Invasionen auf uns gestürzt. Das erste was wir also suchten, waren unsere Fliegennetze. Die Fliegen und das Netz waren von nun an unseren ständigen Begleiter - zumindest immer bei Tage. Das Summen werde ich wohl immer im Ohr haben. Die kleinen Tierchen krabbeln überall hin, unter die Brille, ins Ohr, Nase, Mund…man nimmt es hin, muss man ja, aber man gewöhnt sich nicht daran. Irgendwie fangen alle an, nervös zu werden und packen und wiegen. Noch bleibe ich ganz ruhig. Abends dann die erste Ansprache von Jérôme Lollier über den Ablauf der nächsten Tage.

Die erste Nacht im Zelt, ich muss mehrmals raus sowie auch an den anderen Tagen auch. Ich war überwältigt, Nacht für Nacht habe ich den Himmel betrachtet. Und das war wirklich einzigartig. Der Sternenhimmel war jede Nacht ein einmaliges Erlebnis für mich, oft habe ich mit Tränen in den Augen dagestanden. Unzählige Sterne am Himmel, Sternzeichen, die man bei uns nie sieht, die Milchstraße, der Mond ist nach oben bzw. unten gewölbt und nichts, keine Lampe etc. was den Blick auf den Himmel irgendwie beeinflussen könnte. Und es war ziemlich hell, eine Lampe brauchte man nicht wirklich für den Gang bis zur sogenannten Toilette. Selbst jetzt beim Schreiben, kommen mir wieder die Tränen und ich sehne mich so sehr nach diesem Anblick.

Die Nacht war bitter kalt, etwas unter null Grad und die Handschuhe und der dicke Schlafsack haben sich als sehr hilfreich erwiesen. Ich habe kaum geschlafen, so wie später in den anderen Nächten auch. Als am nächsten Morgen die Sonne wieder rauskommt und mit ihr die Fliegen, wird es aber sofort wieder warm. Alle packen ihre Rucksäcke und der Check beginnt. Ich bin als Letzte dran, da ich mir die Startnummer 44 habe geben lassen und somit die letzte Startnummer habe. Irgendwie werde ich nun auch nervös und fange noch einmal an mit um- und auspacken. Die Tube Pferdebalsam wird in einen kleine Zipp Beutel umgefüllt, jedes Gramm zählt. Es wurde die Pflichtausrüstung kontrolliert, die Startnummern und die Wasserkarte ausgeteilt und der medizinische Check bei den beiden Ärzten Bruno und Sebastian durchgeführt. Am Ende wog der Rucksack dann 9,1 kg. Das waren schon mal 2 kg mehr als ich beim Training auf dem Rücken hatte. Die Verpflegung für die Tage 6 bis 10 wurde in extra gewogen und abgegeben. Die Reisetasche wurde abgegeben und jetzt war wirklich alles nur noch auf den Inhalt vom Rucksack reduziert. Am Abend dann das letzte Essen des Veranstalters und das Briefing für den nächsten Tag. Zum ersten Mal haben wir auch die zwei Liter Wasser für den nächsten Morgen erhalten. Denn ab da hieß es ja dann Eigenversorgung. Es fühlte sich gut an, wirklich nur auf das wesentliche reduziert zu sein, kein Handy…nichts. Die letzte Nacht und dann heißt es Tag für Tag: Are you Crazy? Are you Happy?

Wie ein ganz normaler Tag

Der Tagesablauf für die kommenden Lauftage war jeden Tag gleich: Aufstehen gegen 6 Uhr; Wasser für Kaffee und Tee kochen; frühstücken; Rucksack packen; alles aus dem Zelt räumen, da es noch vor dem Start abgebaut wurde, Wasser für die ersten Kilometer fassen, mit Sonnencreme eincremen; Start; Laufen; Ziel; Wasser fassen, Rebuilder trinken, Rucksack auspacken, Blasen an den Füßen versorgen lassen, Wasser fürs Essen kochen; Abendessen; Wasser für den nächsten Morgen fassen; paar Notizen über den Tag machen; Beine massieren; schlafen.

Ein Überblick - Die ersten zwei Etappen

Die Etappen gingen über unterschiedliche Distanzen. An den ersten beiden Tagen sind wir über das Gebirge gelaufen. Die Strecken waren 30 bzw. 41 km lang und hatten jeweils ca. 1000 HM. Das klingt eigentlich nicht so viel. Aber bei der Wärme und mit dem Rucksack war es schon eine ziemliche Herausforderung. Am zweiten Tag ging es gleich zu Beginn zwischen Felsen nach oben, wir haben kaum 4 km in der Stunde geschafft. Und ausgerechnet auf dieser Etappe gab es eine CutOff Zeit von 7 Stunden nach 31 km.  Ich bin diese Etappe komplett mit Andrea Löw gelaufen und wir waren glücklich, als wir diese Stelle erreicht haben. Besonders schwierig war, dass es erst nach diesen 31 km das erste Mal wieder Wasser gab. So sind wir mit insgesamt 3 Liter Wasser gestartet, also 1 Liter zusätzliches Gewicht. An diesem VP gab es fließend kaltes Wasser. Oh war das schön. Arme, Beine, Gesicht und Kopf endlich mal reinigen, ohne darüber nachzudenken…ein Traum. Zwischendurch war nur ein VP für unsere Kontrolle. Selbst die Helfer mussten diese Stelle zu Fuß erreichen. Man kam mit keinem Auto zu irgendeinem Punkt.

Die anderen Etappen waren alle flach, aber sehr unterschiedlich von der Wegbeschaffenheit und Länge. Es ging los mit 38 und 49 km. Dann kamen drei harte Tage mit 59, 58 und 66 km. Die CutOff Zeit war für alle 8 Etappen gleich. Wir hatten 10 Stunden Zeit. Bei der 7 Etappe mit den 66 km hat uns Jerome noch bis 1,5 Stunden dazugegeben. Die 8. Etappe war zur Regeneration mit 44 km ganz gut und dann die letzte große Etappe mit 137 km in max. 35 Stunden.

Erinnerungen - Etappen 3 und 4

Jetzt zu Hause bin ich wirklich froh, dass ich mir Notizen zu jedem einzelnen Tag gemacht habe. Irgendwie habe ich nur noch die schönen Dinge im Kopf. Am dritten Tag wollten Gunnar und ich eigentlich zusammenlaufen. Und so sind wir auch gemeinsam gestartet. Gleich zu Beginn kam die erste große Herausforderung für mich. Die Strecke wurde zwar etwas geändert, so dass wir nicht mit dem Boot über den Fluss mussten, aber das klettern direkt am steilen Berg direkt am Fluss blieb mir nicht erspart. Ich bin keine gute Kletterin und mit meinen kurzen Beinen, dem schweren Rucksack war es noch viel schlimmer. Ich hatte riesige Angst, mit der kompletten Ausrüstung in den Fluss zu fallen und habe ziemlich laut geschrien. Romain, unser Helfer hat mich ziemlich ausgelacht - mir aber wirklich sehr gut geholfen. Dann ging es über Schotter und anschließend haben wir das erste Mal die berühmte rote Erde gesehen. Wir waren mitten im Aborigines-Land unterwegs. Da ich zu Beginn zu schnell war, hatte ich ganz schöne Probleme. Ich schickte Gunnar von dannen und lief allein weiter. Mein Kopf musste ganz schön arbeiten, aber irgendwann habe ich den Blick wieder gehoben und mich der herrlichen Landschaft besonnen und es lief wieder besser. Das habe ich wirklich an allen Tagen so gemacht. Ich habe immer ganz bewusst die Landschaft aufgenommen. In diesen Momenten war ich immer so dankbar, dass wir diese Entscheidung vor 11 Monaten ziemlich Hals über Kopf getroffen haben und jetzt hier im Outback sind. Es war und ist für mich ein einmaliges Gefühl. Diese Weite, das große Land, einfach nichts außer Landschaft, Stille, kein Handyempfang und ich meistens allein mittendrin. An diesen Tag habe ich auch meine einzige Begegnung mit einer Schlange gehabt, zum Glück war sie tot. Am Ende der Strecke mussten wir noch einige Kilometer an der Straße laufen. Hier hat Gunnar auf mich gewartet und wir sind gemeinsam bei über 40 Grad bis ins Ziel gelaufen. Im Camp erlebten wir am Abend einen wunderschönen Sonnenuntergang, Wildpferde und anschließend ein starkes Unwetter mit Blitz und Donner ziemlich nah. Wir hatten Angst, dass uns das Zelt mit uns zusammen wegfliegt.

Am nächsten Morgen war es dann etwas kühler und es regnete auch immer wieder etwas. Die ersten 10 km ging es an der Straße entlang, um dann endlich wieder auf einen langen breiten roten Sandweg einzubiegen. Allerdings wurde der Sand irgendwann ziemlich tief und kaum noch ordentlich laufbar. Darauf folgte dann ein langes steiniges Flussbett. Auch das war für mich sehr schwierig zu laufen. Alles heulen, schreien, fluchen, half nicht, da musste ich jetzt durch. Meine Gedanken gingen immer wieder zu den nächsten drei Etappen und das CutOff. Und so richtete ich wieder meinen Blick nach oben, genoss die Landschaft, entdeckte einen Rosakakadus, das ist eine Papageienart (Google sei Dank;-)) und es ging wieder besser. Ich sagte mir immer wieder: „Ich schaffe das!“  Das hat mir schon vor Jahren bei meinem ersten Marathon und in harten Trainingseinheiten geholfen und erinnert mich an meinen Sohn als er noch ein kleiner Junge war und schwimmen gelernt hat. Er hat das damals auch immer wieder gesagt. Kurz vor dem Ziel mussten wir einen Fluss durchqueren und somit waren die Schuhe komplett nass. Die letzten Kilometer waren dann richtig gut laufbar und im Camp erwartete uns eine Überraschung. Es gab für jeden eine Dose Cola. Da freut man sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Die Schuhe haben wir versuchsweise am Feuer getrocknet. Naja, so richtig viel geholfen hat es nicht. In der Nacht erlebte ich einen tollen Vollmond, es war so hell…traumhaft.

Etappe 5

Jetzt kam die erste lange Etappe mit 59 km. Am Morgen waren meine Sachen und Schuhe noch komplett nass. Es nieselte leicht und das Camp lag im Nebel. Dafür war es aber wieder nicht so warm. Die ersten 30 km liefen sich richtig gut. Es gab zwar einige nasse Stellen. Die waren aber noch zu vernachlässigen. Ich war Christian für sein Training lang und langsam so dankbar. Das hat mir wirklich sehr geholfen. Ich konnte so meine Strecken, wenn es laufbar war, sehr gleichmäßig absolvieren und war vom Kopf darauf mental vorbereitet. Doch dann kam der Hammer. Der Regen hatte den Weg und alles was darum war in ein einziges Schlammloch verwandelt. 15 harte Kilometer wieder einmal mit schreien, fluchen, heulen…der Schlamm klebte an den Schuhen, machten diese noch schwerer. Ich kam kaum vorwärts und ich musste aufpassen, nicht auch noch wegzurutschen und mit kompletter Ausrüstung im Dreck zu liegen. Hier waren meine Stöcke sehr hilfreich. Irgendwann war das vorbei und ein nicht enden wollender roter Highway schloss sich an. Es ging permanent hoch und runter aber immer gerade aus. Eigentlich wirklich traumhaft, so wie man sich das Outback vorstellt.

Die Fotos von dort sind auch traumhaft. Ich glaube hier lächle ich zum ersten Mal nicht auf den Fotos. Es war heiß, unsagbar anstrengend, in dem Sand zu laufen und trotzdem war ich dankbar, dass ich hier bin, gesund und bis jetzt alle Etappen finishen konnte. Mit diesen Gedanken laufe ich über glücklich, aber fix und fertig über die Finishline. Dazu muss ich sagen, im Ziel wurden wir immer vom gesamten Team und den meisten Läufern mit Applaus begrüßt. Es war jeden Tag toll, im Ziel anzukommen und eigentlich auch wirklich immer mit einem Lächeln im Gesicht…zumindest wir Frauen. Als Überraschung gab es heute für jeden eine „Dusche“ das waren 2 Liter kaltes Wasser zusätzlich und einen Eimer, wo man das Wasser hineinkippen konnte oder sich reinstellen und mit Wasser übergießen oder wie auch immer. Auch unsere Verpflegung für die nächsten fünf Tage gab es heute. Diese hatten wir ja zu Beginn abgegeben. Ich hatte mir einige zusätzliche Leckerlis dafür eingepackt. Da ich die ja nicht schleppen musste. Ich hatte aber absolut keinen Appetit und so gingen die im Beutel wieder zurück aufs Auto. Mir war so sehr kalt und so ging ich schnell zu Bett.

Etappe 6

Jetzt folgten 58 km lange Kilometer breiter roter Sandhighway in praller Sonne. 20 km lief es richtig gut und auf einmal ging fast nichts mehr. Zum Glück viel mir mein Handy ein. Roland Kaiser hat mir hier mein „Leben gerettet“, ich habe laut gesungen, es hat mir Kraft gegeben und so bin ich mit „Alles was du willst“ erschöpft aber überglücklich über die Finishline gelaufen. Die deutschen Helfer und Starter haben mich natürlich stark belächelt. Im Camp gab es auch heute wieder eine „Dusche“. Die habe ich allerdings ausgeschlagen. Mir war so kalt, ich habe gefroren, hatte kaum Appetit und war müde. So habe ich meine Blasen verarzten lassen, etwas gegessen und bin wieder ins Zelt. Ich war so fertig und trotzdem unsagbar stolz. Ich habe bisher großartiges geleistet, jede CutOffzeit geschafft. Heute war es zwar knapp, aber trotzdem noch in der Zeit. Ich empfinde eine große Dankbarkeit, dass mein Körper das alles mitmacht, ich gesund bin und jeden Morgen aufstehe und wieder loslaufen kann.

Etappe 7

Am Tag 7 wartet die nächste Herausforderung auf mich. 68 lange Kilometer. Die CutOffzeit wurde von Jerome um bis zu 1,5 Stunden erhöht. Ich war dafür sehr dankbar, denn mir war klar, so sehr ich mich beeilen werde, in 10 Stunden komme ich nicht an. Bis zur Hälfte der Strecke lag ich allerdings noch genau im Zeitplan. Hinten raus wurde es dann aber doch schwierig. Die Beine sind so schwer, der Rucksack wird gefühlt nie leichter. Aber die Strecke war so schön, ein Dornteufel (Google sei Dank!) starrte mich an und bewegte sich nicht von der Stelle. Da ich nicht wusste, was das für ein stacheliges Tier war, hatte ich meine Stöcke beim Fotografieren sehr griffbereit. Sandhaufen mit dubiosen Löchern drin, säumten den ganzen Weg. Hier hatte ich echt Angst zu fotografieren. Ich wusste ja nicht, was da für Tiere drin sind und mich anspringen könnten. Ich komme zwar mit ca. 3 Minuten Abstand als letzter Finisher, von allen Startern die die gesamte Distanz heute gelaufen sind, nach ca. 11 Stunden ins Ziel, werde aber von allen gefeiert. Alle sind so froh, dass ich es geschafft habe und erkennen meinen großen Kampfgeist an. Mir ist wieder so kalt, das kommt bei mir meistens bei großen Anstrengungen vor. Also schnell Blasen versorgen, wenn auch ohne Hunger etwas essen und wieder ab ins Zelt. Es war ja sowieso schon spät. Eigentlich weiß ich schon hier, wenn der Körper nicht versagt, werde ich am Uluru ankommen

Etappe 8

Heute war Wandertag für mich angesagt. Die 44 km waren für mich als Recoveryday eingeplant. Ich wollte mich auf der Strecke erholen, es war wie Urlaub. Eigentlich wollten das alle so machen und trotzdem liefen alle schnell los. Ich lies mich nicht beirren und wanderte schnellen Schrittes vorwärts. 8 Stunden hatte ich mir vorgenommen. Nach 17 km fing die Achillessehne etwas an zu spinnen und so musste ich etwas langsamer bis zum CP2 bei 27 km gehen. Sebastian, unser zweiter Doc, hat mir geholfen und zum Glück ging es dann an der Straße lang. Das war Erholung für die Sehne, es lief sich einfach besser. Zum Zeitvertreib habe ich immer in die entgegenkommenden Autos geschaut und habe mich gefreut, wenn mir gewunken wurde und habe zurück gewunken. Ich hatte damit ganz schön zu tun, die Australier oder Touristen schienen von mir kleinen Frau mit Rucksack am Highway begeistert gewesen zu sein. Das Stück Straße war auch schon ein guter Vorgeschmack für den nächsten Tag. Glücklich und Happy komme ich im Ziel an, ich fühle mich gut, wir haben noch viel Zeit und heute nehme ich die „Dusche“ dankend an. Alle sind ausgelassen, liegen im Schatten und trotzdem bin ich emotional total verwirrt. Mir wird bewusst, dass es die letzte Nacht im Zelt sein wird. Wir haben es so weit geschafft, es ist einfach irre, unbeschreiblich. Ich bin so stolz, erleichtert. Jetzt geht es wirklich zum Uluru, ich werde es schaffen. Mein Kopf ist so stark, ich habe es mir immer und immer wieder vorgestellt und gesagt, wenn ich die 8 Etappen schaffe, dann wandere ich bis zum Uluru.

Das Finale - Etappe 9

Ich starte in der ersten Gruppe um 6 Uhr. Es war ziemlich kalt und noch dunkel. Ich habe kaum geschlafen, da ich starken Husten wie auch die letzten zwei Nächte zuvor hatte. Am Tag war es immer OK. Anna fragte mich noch, wie es mir geht. Ich antwortete: „Nicht so gut, mal sehen wie es wird.“ Und schon ging es los. Zum letzten Mal: Are you Crazy? Are you Happy? Wir liefen mit Stirnlampe los, aber ca. 1 Stunde später erlebten wir einen wunderschönen Sonnenaufgang und es wurde warm.

Der Husten war weg und so marschierte ich schnellen Schrittes voran. Die Zeit war genauso, wie ich es mir vorgenommen hatte. Am ersten CP nach 25 km standen Jerome und Bruno, unser Arzt. Und so wie jeden Tag kam auf die Frage, wie es mir geht die ehrliche Antwort: „Mir geht es gut, die Landschaft ist so schön. Ich bin so dankbar, dass ich hier bin!“ Da Gunnar und ich gemeinsam laufen wollen, muss er dann zwei Stunden Rückstand auf mich aufholen. Er ist wirklich gelaufen wie ein verrückter, denn nach ca. 35 km hatte er mich ein und nach ihm kam lange Zeit niemand. Jetzt hieß es die noch verbleibenden 100 km gemeinsam marschieren.

Am CP3 nach 55 km dann endlich die seit 9 Tagen ersehnte Raststation, wo wir uns etwas zu Essen kaufen konnten. Wir hatten vorsorglich paar Dollar eingepackten und so stürmten wir den Laden. Cola, ein Apfel, Riegel und paar Chips wechselten schnell den Besitzer. Gunnar kaufte sich noch ein großes Stück Kuchen, auf das Bier hat er dann doch lieber verzichtet. Wir hatten ja noch viele Kilometer vor uns. Nach 9 Tagen Tütennahrung hatte mein Magen ganz schön zu kämpfen und es ging für mich erstmal nicht so gut weiter. Zum Glück dauerte der Zustand nicht so lange an und wir marschierten den Sonnenuntergang entgegen und die Sonnenbrille musste der Stirnlampe weichen. Bald erreichten wir den Highway, der nun für ca. 70 km unsere Laufstrecke sein sollte. Am CP 4 nach 70 km haben wir dann etwas länger Pause gemacht, unser Abendessen gekocht und uns die langen Sachen angezogen. Was sich immer schwieriger gestaltete, waren die Schuhe an und ausziehen. Die Füße waren geschwollen und die Schnürsenkel von roter Erde, Feuchtigkeit einfach nur noch hart und ließen sich kaum noch bewegen. Allmählich wurde es ziemlich kalt und alle Kraft wich von mir. Ich habe kaum noch getrunken, die Rettungsdecke musste mir etwas wärme spenden, Handschuhe angezogen und paar Stunden beschallte uns Roland Kaiser. Gunnar hat das tapfer ausgehalten. Ich habe das so noch nie erlebt, bin im Gehen fast eingeschlafen, habe halb halluziniert, wirres Zeug geredet und wenn ich mal stehen bleiben wollte, hat mich Gunnar wieder vorwärtsgetrieben. Es gibt nicht viel Schönes zu berichten. Aber etwas wird uns beiden wohl ewig in Erinnerung bleiben.

In Deutschland ist der Mond einfach nur da. Hier erlebten wir einen Mondaufgang. Blutrot tauchte hinter uns am Horizont der Mond auf und wanderte nach oben, es war wirklich ein für mich einmaliges Naturschauspiel. Da wir irgendwann fast die letzten auf der Strecke waren, die die gesamte Etappe laufen, hatten wir dann auch eine ganze Helferschar für uns. Anna, Sebastien, Ian und Romain begleiten uns die vielen vielen letzten Kilometer mit dem Auto. Ich denke, so aller 2 km stehen sie wieder da und warten. An einem der letzten VPs sage ich zu Anna und Ian, dass es mir peinlich ist, dass alle auf mich warten müssen einschließlich der Läufer im Ziel. Aber alle sprechen mir Mut zu, ich hätte genügend Zeit und ins Hotel kann sowieso noch niemand. Sie wissen ziemlich genau, dass ich es schaffen werde, hätten mich nicht aussteigen bzw. ins Auto einsteigen lassen. Also Kopf aus, Musik an und weiter geht’s. Die Nacht scheint nie enden zu wollen. Es war ungefähr 12 Stunden dunkel, das war wirklich hart. Zu Hause in Deutschland war man ja die kürzeren Nächte gewöhnt, aber in Australien war nun mal Herbst und da wird es zeitig dunkel und später hell. So allmählich dämmerte es und meine Stimmung wurde auch wieder besser. Mit den ersten Sonnenstrahlen kamen die Fliegen und es wurde wieder warm. Allerdings brauchte ich eine Weile, bevor ich richtig aufgewärmt war. Unsere Helfer waren erschrocken, als wir eine etwas längere Zeit am Straßenrand zubrachten. Sie hatten Angst, dass etwas passiert ist. Dabei haben wir uns nur der langen Sachen erledigt. Meine lange Hose habe ich einfach mit dem Messer aufgeschnitten, da ich die Schuhe definitiv nicht mehr ausziehen konnte. Wir hatten noch ca. 20 km vor uns. Das klingt eigentlich nicht viel, für uns waren es aber noch 4 bis 5 lange Stunden. Auch Gunnar hatte mit den Füßen zu kämpfen, uns tat eigentlich alles nur noch weh. Aber irgendwann haben wir unser Ziel in der Ferne gesehen, auch wenn es noch paar Stunden sind, es war greifbar. Und so marschierten wir immer weiter und dann hieß es runter von der Straße und auf dem roten Sandweg bis zum Uluru. Auch wenn das letzte Stück länger war als eigentlich angekündigt und hinter jeder Kurve noch eine Kurve kam und die Kraft komplett am Ende, wurden der Stolz und die Freude immer größer. Wir haben das große Ziel 522 km durchs Outback geschafft. Noch vor dem Ziel liegen wir ganz für uns alleine in den Armen und lassen den Tränen freien Lauf. Wir haben etwas großartiges geleistet, Grenzen verschoben und uns gegenseitig so viel Kraft gegeben. Ich stelle Roland Kaiser an und mit „Alles was du willst“ gehen wir Hand in Hand ins Ziel.

Eine wundervolle Erfahrung

Jérôme, Bruno, Anna, Ian, Sebastian, Romain und all die anderen Helfer und Teilnehmer stehen an der Ziellinie und begrüßen uns mit großem Beifall. Ich falle Jérôme dankbar in die Arme und bin über und über glücklich. Er hat immer an mich geglaubt und auch Bruno war immer für mich da, hat mich auch am nächsten Tag noch gründlich untersucht und selbst Tage später zu Hause gefragt, wie es mir geht. Während des Laufes habe ich immer wieder in die einmalige Landschaft aufgeschaut. Ich habe es genossen, egal ob die Berge, verbrannte Erde, tote Bäume, Flussbett, Schlamm, rote Erde. Es war einfach ein Traum und wird für mich unvergessen bleiben. Jeden Tag, wenn mich Jerome auf der Strecke gefragt hat, ob alles OK ist, habe ich geantwortet: „Es ist alles super und die Landschaft so einmalig. Ich war einfach nur glücklich.“ Jetzt zu Hause sehne ich mich danach und mir fällt es noch immer schwer alles in Worte zu fassen. Der Gedanke, ich allein für 520 km im australischen Outback ohne Handyverbindung und Internet, nur mit einem Rucksack mit allen notwendigen Dingen auf dem Rücken. Das war für mich jeden Tag eine wundervolle Erfahrung. Auch das werde ich mitnehmen. Wir haben von allen Dingen viel zu viel und machen uns keine Gedanken selbst über die einfachen Dinge im Leben. Ich habe jeden Tag das komplette Gefühlsprogramm durchlebt, gelacht, geweint, das Outback angeschrien, die unzähligen Fliegen verflucht. Aber ich war jeden Tag unendlich stolz, wenn auch sehr oft erschöpft, wenn ich die Ziellinie überquert habe. Ich bin so sehr dankbar, dass mein Körper Tag für Tag diese Belastung mitgemacht hat. Ich bin früh aufgestanden und einfach wieder losgelaufen. Es funktioniert wirklich, wenn man den Kopf vorher darauf programmiert. Grenzen entstehen meist im Kopf und können verschoben werden.

Einzigartig war auch die Gemeinschaft untereinander. Die Helfer waren immer für uns da, hatten immer ein Lächeln und aufmunterndes Wort für uns, sind früh noch vor uns aufgestanden und spät nach uns ins Zelt gekrochen. Und haben dafür Ihren Urlaub geopfert. Auch wir Läufer untereinander waren alles andere als Konkurrenten. Jeder hat nach dem anderen geschaut, gefragt, wie es geht, geholfen wo es ging und jede Leistung wurde anerkannt, egal wie schnell oder weit. Es gibt keine Ellenbogen so wie in der realen Welt.

Ian Crafter sagte während einer für mich sehr schwierigen Etappe: „Denke im realen Leben immer daran, wie du mit den Stöcken durchs Outback marschiert bist. So wirst du jedes Problem als klein empfinden und bewältigen. Du bist eine starke Frau.“ So recht hat er.

Noch während des Laufs, ganz am Anfang, sagte ich, dass ich auf diese Weise wieder laufen möchte. Ich habe es auch Jérôme gesagt, als ich mich verabschiedet habe. Die Anmeldung für den nächsten Lauf mit Canal-Aventure ist schon erfolgt. Aber jetzt heißt es erstmal wieder fleißig trainieren. Als nächstes steht der TAR als großes Projekt auf dem Plan. Wieder werde ich gemeinsam mit Gunnar starten und natürlich wird mich Christian auch weiterhin trainieren.

>>> Photocredit: privat & (c)2019 Canal Aventure, G. Pielke / D. Lemanski

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