Das kleinste Hochgebirge Europas? Das ist natürlich die Hohe Tatra in der Slowakei (mit einem kleinen Teil in Polen). Die unter euch, die noch in der DDR groß geworden sind, kennen sie sicherlich noch, da die Alpen normalerweise unzugänglich waren und die Tatra das nächste Hochgebirge war. Die Millennials kennen sie evtl. von ihren Eltern oder Mundpropaganda -- der Großteil des Hochgebirgstourismus konzentriert sich ja in den Alpen. Die Hohe Tatra ist felsig, überaus felsig und steil und technisch -- sehr technisch für alle, die nur die Alpen gewöhnt sind -- natürlich gibt es auch hier sehr technische Gebiete, aber die dominieren eher nicht -- zum Vergleich: von mehreren hunderten Gipfeln sind nur ca. 10 durch Wanderungen erschlossen -- der Rest wird geklettert. Und selbst diese Wanderungen sind teilweise mit Kettenstellen und sehr leichten Klettereien versehen. Außerdem ist die Hohe Tatra wunderschön und wild -- es gibt Murmeltiere, Gämsen und sogar Bären! Erst Anfang September sind wir einem in der Nacht begegnet -- eine unheimliche Begegnung, die sich glücklicherweise auf Brüllkontakt beschränkt hat.
So, und nun endlich zum Thema des Blogs: die Schrammschweine in der Hohen Tatra. Vor 3 Jahren habe ich mit meiner Cousine und ihrem Mann einen Weg zur Durchquerung der Hohen Tatra und der Weißen Tatra gesucht, definiert und abgewandert. Nicht die offensichtliche Variante über die Magistrale, sondern eine andere mit mehrmaliger Überquerung des Hauptkamms. Diese Route über ~51km mit 3800m+ (im Aufstieg) und 3200m- (im Abstieg) sind wir damals mit Tagesgepäck in ca. 18h abgewandert. Das Ganze mit Laufschuhen und -weste zu absolvieren, sollte nun das Sommerprojekt der Schrammschweine werden.
Hier gibt es einen kleinen Vorgeschmack im Video über unseren Tatra-Bash >>> ZUM VIDEO
Freitag 6:30 treffen wir uns am HBF mit der gesamten Gang, zu der neben uns noch Felix, Attila (ja, davon gibts mehrere) und Ludwig (extra aus Berlin angereist) gehörten. Schnell alles im Auto verstaut und ab auf die volle Autobahn. Stau auf der Autobahn sollte uns die Laune nicht vermiesen und so ging es direkt aus dem Auto noch auf den (besten!) Aussichtsgipfel der Hohen Tatra -- den Slavkovský štít (2452 müNN). Den steilen Aufstieg von 1450m+, aber vor allem den Abstieg in Minimalschuhen (warum auch nicht?) sollten wir am nächsten Tag noch leicht spüren.
Nach einer sehr verregneten Nacht auf dem Zeltplatz und 2 Frühstücks-Cliff Bars ging es nach Ždiar, den Ausgangsort, und von dort mit einem ersten äußerst steilen, feuchten und eigentlich immer schlammigen Anstieg von 1100m+ auf den Kopské sedlo. Dort kurz posiert, die Stöcke weggepackt und in den ersten Downhill gestürzt.
Im Aufstieg von der Chata pri Zelenom plese (1551 müNN) zur Veľká Svišťovka (2038 müNN) zeigte die Tatra so langsam ihr technisches Gesicht -- eines welches Attila bei seiner äußerst gutmütig prognostizierten Zielzeit (von 8 h ...) bei Weitem unterschätzt haben sollte. Die meisten Pfade führen über Felsblöcke -- große, kleine, spitze, schiefe, lockere, schmierige Felsblöcke. So ist das Vorankommen zwar sehr unterhaltsam, aber auch äußerst kraft- und konzentrationsraubend.
Das Wetter anfangs noch feucht/nass, neblig und windig besserte sich langsam und so genossen wir die nächsten km auf der Magistrale, auf der die Menschenmassen immer weiter zunahmen -- es waren bereits Ferien -- bis wir in das malá studena dolina abbogen und uns auf dem Aufstieg bis zur Téryho chata (2015 müNN) an vielen, langen Menschenschlangen auf engstem, technischen Trail vorbeischoben -- Fartlek! Hier konnten wir noch kurz mit unseren Buddies, die sich mittlerweile auf eine Wanderung begeben hatten, und einer Kofola anstoßen, um am Ende des Tals dann die erste technische Sattelüberquerung zu bewältigen, über den Priečne sedlo (2353 müNN) -- die spannenden Parts sind mit leichten Kletterpassagen gespickt.
Jetzt begann sich Attila auf den kommenden Downhills so langsam von mir zu lösen -- zum Glück nur auf den Downhills -- wer mag die schon? Dieser Downhill vom Sattel führte uns nun ins vel’ká studena dolina, zur Zbojnicka chata (1960 müNN) und bis zum nächsten äußerst steilen Doppelsattel (Prielom (2290 müNN) und Poľský hrebeň (2200 müNN)) und mit diesem, unserem letzten hohen Punkt auf der Tour. Beim Prielom war nicht der Aufstieg, sondern der Abstieg der technisch anspruchsvollere Part -- hinzu kam noch, dass auf diesem Abstieg/Abklettern eine Wanderin Angstzustände entwickelt hatte und damit einen Teil der Wand blockierte -- es waren aber schon andere Helfer da, so dass wir unbeirrt weiterkonnten. Kurz runter, und wieder steil zum vorletzten Sattel.
Nun folgte ein wunderschöner Downhill bis zum Sliezsky dom (1670 müNN), in dem wir unsere zur Neige gehenden Trinkvorräte wieder auffüllen konnten, eine Kofola stürzten und zur letzten Etappe über die Magistrale nach Štrbské Pleso starten konnten. Hier zieht sich die Magistrale noch mal ein ganzes Stück über viel technisches Terrain, welches, obwohl es nicht steil ist, durch das Springen von Felsblock zu Felsblock die Kraft noch weiter aus den Beinen zieht. Stöcke in die Hand, Gels reingeschoben und so konnte es nach einer kurzen Schwächephase auch hier weitergehen.
Attila hat so seine Motivationsfloskeln (normalerweise richten die sich aber gegen andere): so erzählte er mir doch in einem der letzten Aufstiege, dass er gerade mit ansehen kann, wie meine Waden in sich zusammenfallen -- der Junge weiß, wie Motivation geht ;)
Und auch der große Attila kam auf der letzten Etappe der Magistrale ins Grübeln -- so fragte er, wie lang es denn noch sei. Er hätte sich mental doch nur auf 50 und nicht einen einzigen Kilometer mehr vorbereitet -- so brachten wir die technische Durchquerung nach 11 h ziemlich erschöpft hinter uns.
MAX
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