Trailrunning

SachsenTrail 2018 - Erlebnisse & Emotionen von Nolle

Ein prüfender Blick.

"Mütze, Rucksack, Trinken… dort ist der Klemmi. Hast du alles?"
"Ja, ich glaube schon."

"Du machst das schon. Übertreib' es nicht zu Beginn. Hab Spaß! Bis später."


"Übertreib es nicht zu Beginn" und "Hab Spaß!" - da ist ein klitzekleiner Widerspruch.
Aber das versteht der Gatte nicht.


"Danke mein Schatz. Macht euch ein paar schöne Stunden. Bis nachher!"

Noch mal winken.
Startschuss und ab geht die Luzi.

Blick rüber zu Klemmi. Alles klar.
Land gewinnen, bevor es in den ersten Downhill geht.

Bahne frei, Kartoffelbrei.

Eine vertraute Stimme direkt hinter mir.

"Nolle, was tust du da?"
"Ich töte uns. Ich weiß. Aber das geht grade nicht anders, sorry."

„Versteh‘ ich.“


Keine Widerrede also...
Im Gegenteil:


"Wohhh. Was eine g... S... - geniale Streckenführung! Das macht einfach nur Spaß."

Wir sind uns einig.
Ein paar hundert Meter weiter lege ich im Zuge der visuellen Geländesondierung einen gepflegten Bauchklatscher hin.


"Shit. Alles gut?"
"Alles gut!"


Kontrollblick. Nicken.

"Wirklich! Gut abgefangen, kann weitergehen. Ich werd sicher sterben - aber erst später. Und nicht darum."

Kurzer Blick an mir runter.

Kann schon mal passieren.

Bahne frei, Kartoffelbrei.

Sicher kann man diese unverwechselbaren ersten fünf Kilometer auch kontrolliert und vernünftig laufen.
Nur ich eben nicht.


Wasser fassen an der ersten Verpflegung.
Und so etwas wie Rhythmus finden.


"Ich muss mich jetzt wirklich zügeln. Das endet sonst in einer Katastrophe!"
"Jaja. Ich auch."


Er glaubt mir nicht.
Aber bald.

Spätestens am ersten echten Berg.

"Verdammte Axt. Was ist das denn?"

Er schießt Fotos. Hauptgewinn.


"Klemmi, isses noch weit?"
"Ja."

"Das ist so steiiil. Ist das schon immer so steil?"
"Ja."

"Klemmi, schaffst du bitte den Berg weg?"
"Ach sei froh, so können wir wandern."


Okay. Diese Diskussion führt gerade zu nichts.
Ich zieh ein bisschen die Unterlippe hoch, schnaufe und marschiere.

Und irgendwann laufe ich dann auch wieder.


Bis zur nächsten Verpflegung.
Viel Apfelschorle und viel Apfel und Banane auch.

Und nochmal von vorn.
Hauptsache Pause.

Erstmal.


"Weiter?"
"Weißt du wie weit das noch ist?"

"Ja!"
"Viel zu weit!"

"Ja."


Er gibt mir also Recht!

"Aber wird nicht weniger vom rumstehen!"
Okay. Diese Diskussion führt gerade zu nichts.

Wir traben also weiter.
Genau genommen trabt Klemmi. In gekonntem Schritt.

Bei mir ist eher von Gestolper zu sprechen.

"Klemmi, mach mal. Das dauert heute wirklich länger bei mir."
"Jaja, kenn' ich den Spruch."


Diese Diskussion erübrigt sich.
Ich kann nämlich eh nicht mehr dranbleiben.


Jetzt trotte ich erstmal allein durch den Wald.
Okay, ab und zu trabe ich auch.

Und manchmal schimpfe ich ein bisschen.
Oder schenke mir ein bisschen Selbstmitleid.


"Was ist bloß los mit mir?
Und mit meinen Beinen?

So saft- und kraftlos.
Warum hab ich eigentlich den Klemmi weggeschickt?

Und was genau tu ich hier?
Eigentlich weiß ich doch genau wie es geht.”


Eigentlich kann man diese unverwechselbaren ersten fünf Kilometer auch kontrolliert und vernünftig laufen.
Nur ich eben nicht.


“Ganz tolle Kiste Frau Keßler."

Für so eine kleine emotionale Achterbahnfahrt reichen also schon um die 15 Kilometer.
Nicht schlecht!

Reicht dann aber auch.
Tatsachen schaffen.


"Wer nicht hören will, muss fühlen..."

Und das Beste draus machen.
Gummibärchen aus dem Rucksack zur Mobilisierung der Gummibeine.

Musik auf die Ohren.
Auf beide. Und Laut!

Der Grenzgraben voraus.


"Eigentlich mag ich den.
Ich streich jetzt einfach das Eigentlich."


Bahne frei, Kartoffelbrei.
Nun ja. Im Rahmen meiner aktuell gegebenen Möglichkeiten.

Es läuft tatsächlich wieder - so ein bisschen zumindest.
Und so fern das im Grenzgraben eben geht.


Würde es mir nicht so unfassbar schlecht gehen, würde ich vermutlich schon wieder überschnappen. Bloß gut!

"Erwischt!"

Ich trabe im Takt.
Da vorn, ganz vorn, verschwindet Klemmis Hosenzipfel um die Ecke.

Mit etwas Abstand dann auch meiner, geradewegs auf die nächste Verpflegung zu.
Herrlich! Menschen!


„Hallo zusammen!
Ach schön euch zu sehen.

Ich bin die Nolle.
Orr Obst!

Und was Salziges.
Und was Frisches zu trinken auch.

Was eine Wohltat.
Und ach wie schön euch zu sehen!“


„Wo haben sie die denn rausgelassen?“,
werden die lieben Helfer am Verpflegungspunkt denken, während sie mich, das Buffett plündernd, beobachten.


Sagen sie aber nicht.
Lächeln mich nur bestärkend an.

Wirklich nette Menschen.


Dann kommt Hans-Dieter angaloppiert.

„Hans-Dieter! Ach was freue ich mich dich zu sehen.
Ach mir geht es so schlecht heute!

Ich komme einfach keinen Berg hoch.
Am Anfang übertrieben.

Vielleicht auch bisschen wenig Berge dieses Jahr.
Aber das es gleich so, SO schwer gehen muss…“


Hans-Dieter guckt verdutzt,
trödelt nicht viel rum beim Essen.

Beim Laufen erst gar nicht.
Ist quasi schon wieder auf dem Abmarsch und nimmt Fahrt auf.

Volle!
Ich hoffte, wenigstens ein kleines Stück mithalten zu können.

Nun ja.
Konjunktiv.

Hätte ja sein können.


„Machs gut Nolle.
Lass es dir gut gehen, machs' Beste draus!

Wir sehen uns im Ziel!“


„Hans-Dieter, lass es krachen.
Du bist echt unglaublich!

Wir sehen uns im Ziel.
Aber dauert noch.

Bis später.“


Weg ist er.
Eine Legende.


Mein nächster mentaler Strohhalm ist die gelbe Hose, die ich beim Verlassen der Verpflegung noch im Augenwinkel erspäht hatte.

„Tolle Wurst Frau Keßler –
den Versuch hättest du dir echt sparen können.

Mit Hans-Dieter mitlaufen. Tzzzz.
Hättest mal lieber auf die gelbe Hose warten können!“


Schon wieder Konjunktiv.
Gleich doppelt.

Wütend auf mich selbst, wechsle ich die Playlist und dreh die Musik auf -
und ganz aus Versehen auch das Tempo.

Geht ja bergab.
Der nächste Anstieg kommt bestimmt.

Und spätestens dann ganz sicher auch die gelbe Hose.


Und tatsächlich!
Welche Überraschung!


„Nooolle!!“

Nicht die gelbe Hose, sondern ein kurzes, schwarzes Flatterhöschen kommt von hinten angeschwebt.
Ist mir auch lieb.

Sehr sogar!


„Rooomy!!“

Im Thunderspeed kommt sie den Berg runtergeballert.

„Romy! Orrrrr! Wie schön ist das, dich zu sehen!“
„Nolle! Cool! Wie geht’s dir?“


Falsche Frage.

„Aaaach…, aaach! Ich kämpfe! Ganz , gaaaaaanz schlechter Tag.“

Sie fällt mir gerade noch rechtzeitig ins Wort - 
biegt nur noch fix galant vor mir in den Anstieg, marschiert hoch -

Und erzählt.
Viele schöne bunte Sachen.


"Geile Strecke ...
Macht voll Spaß ...

Und letztens …
Stadtlauf … Froschlauf ….

… Tröte und ballern ... "


Ich hör zu.
Und trotte hinterher.

Dem Zuckerpops im schwarzen Flatterhöschen hinterher.
So lange es irgendwie geht.


"Bergtraining in Norwegen..."

"Was für Zeug?
Ja, Norwegen war toll.

Unbeschreibliche Natur und Berge ohne Ende.”


Ich schnaufe.

“Bisschen viel Berge vielleicht sogar.
Siehste ja..."


Sieht sie nicht.
Läuft ja mit Karacho voraus.

Und ich hinterher.
Am Hosenzipfel.


Wir sind tatsächlich so gut wie oben.

"Genau so bis ins Ziel bitte!",
denk ich grad noch so.


Ein paar Kehren weiter ist das Intermezzo vorbei.

„Nolle, machs gut! Bis später! Wir sehen uns im Ziel!“

Abzweig QuarterTrail.
Das war’s dann wieder mit dem Strohhalm.


„Tschüssi. Bis später!
Viiieel später!!“


Ich überleg kurz ob ich mich auf dem Boden schmeiße, rumschreie und wild um mich strample.
Bringt nicht viel.

Stattdessen quetsche ich mir bockig ein Schokoladengel in den Mund.


"Wem genau kann ich erklären, dass das Spiel jetzt blöd ist und ich nicht mehr mitmache?"

Wieder allein auf weiter, wilder Flur.
Irgendeine Lichtung auf einem Berg im Erzgebirge.

Kein Mensch in Sicht in diesem Moment.
Eigentlich toll - nur grade nicht.


“Wo, zum Teufel, bleibt die gelbe Hose?”

Self-Entertainment ist angesagt.
Selbst ist die Frau!

Helene Fischer.
Volle Pulle.


“Alles wird möglich, Grenzen, die gibt's nicht
Wir sind unsterblich für eine Nacht


Och, ein paar Stunden, würden mir im Augenblick schon reichen.

Alles ist machbar, nichts unerreichbar

So yeah!

Und das ist -
Genau mein Ding, genau mein Ding


Ja verdammt!

Mal das Unmögliche zu wagen
Zu allen Wundern „ja“ zu sagen


Wunder? Her damit!

Das macht Sinn
Genau mein Ding, genau mein Ding


So Yeah! Love this shit.”

Soll nochmal einer behaupten, die Texte von der Helene seien flach!

Ich renn also jodelnd über besagte Lichtung, besagten Berg.
Irgendwo im Erzgebirge.

Das ist weder schlau noch vernünftig.
Aber mit Vernunft brauche ich heute eh nicht mehr anzufangen...

Und für den Moment ist es witzig.
Nein!

Für den Moment macht es mich unsterblich.


Die Momentaufnahme hat leider eine äußerst überschaubare Dauer.

Kurz darauf laufe ich an der nächsten, der vorletzten Verpflegung, ein.
Ob sich Gatte und Hund vielleicht doch gelangweilt haben?

Oder sich sorgen?
Oder mich einfach überraschen wollen?


Nö.

“Macht euch ein paar schöne Stunden!”,
haste gesagt.


Selbst schuld!

“Hallo ich bin die Nolle.
Habt ihr Cola?”


Kloß im Hals wegspülen.
Weiter latschen.

Wenigstens traben.
Letztes Jahr bin ich dieses schnurgerade Stück in deutlich sub 5-Minuten-Pace langgeheizt.

Ich spar’ mir den Blick auf die Uhr.
Halte Ausschau nach Leidensgenossen.


Negativ.
Wo, verdammt nochmal, bleibt die gelbe Hose?

Stattdessen schon wieder freundlich und bestärkend lächelnde Helfergesichter, die mich von der Straße in den letzten Downhill winken.
Den holpere ich jetzt auch nur noch eher schlecht als recht runter.


Wahrscheinlich ist es das Alter!
Mit der dreißig ist nicht zu spaßen.

Aber verhalten sich Lebensdauer und Vernunft normalerweise nicht proportional zueinander?

“Ach verdammt…
Verdammt hart heute!”


Emotionen rauslassen.
Vielleicht hilfts.

Irgendjemand um mich rum nickt zumindest bestätigend.
Dürftiger Trost.


“Was werden wohl der Gatte und der Krümel machen?”

Noch ein Verpflegungspunkt vor dem Ziel.
Vielleicht...

Oje.
Ich werd’ sentimental.


An besagtem Verpflegungspunkt wartet Wasser, Tee, Iso.
Auch Cola.

Freundliche Menschen - erneut!
Gatte und Hund machen sich, wie von mir aufgetragen, ein paar schöne Stunden.

In der Sonne wahrscheinlich.
Im Zielbereich oder vor dem Zelt oder sonstwo.

Hier jedenfalls nicht.

Meine Mundwinkel neigen sich verdächtig nach unten.
Das Kinn zuckt.


“Durchhalten Nolle!
Selbst schuld.”


Verzwickte Situation.
Ich zücke das Telefon.


“Nein!
Nicht 5 Kilometer vor dem Ziel!”


Gut.
Dann nochmal Musik wechseln.

Aufdrehen.
Stück für Stück voran kämpfen.


Der Schlussanstieg bäumt sich als unbesiegbarer Endgegner vor mir auf.
Die Nerven liegen blank.


“Hej Siri!”
Ich wimmere ins Headset-Mikro.

“Run boy, run!”, gröhlt es in meinen Kopfhörern.

“Hej Siri!”, versuche ich es erneut, fummle das Telefon aus der Brusttasche

“HEJ SIRI!”


“Bing Bing”

“Bitte den Gatten anrufen!”

“Der Gatte wird angerufen.”

Es klingelt.

“Nolle!

“Woooooo seeeeiiiiiiid iiihhhhhhhhr?”

“NOLLE! Was ist los? Ist was passiert?”

“WOOOOO SEEIIIIIIIDDD IIIHHHHRRRR?”

“Na wir sind hier im Zielbereich. Du hast doch gesagt, wir sollen uns ne schöne Zeit machen!?”

“Aber das war doch nicht so gemeint!”

Frauenlogik, klar.
Aber eben die zu verstehen, dafür sind Männer ja schließlich da - oder?


“Nolle! Alles gut? Wo bist du? Sollen wir entgegen kommen?”

Jetzt isses vorbei.
Ich schluchze hemmungslos ins Telefon.


“JAAAAAA”

“Ist alles gut?”

“Nein.
Nicht gut.

Es geht so schwer heute.
Es geht nichts.

Gar nichts.
Die Berge sind so hoch.

Die tun so weh!”


“Wo bist du?”

“Na so bei Kilometer dreißig!”

Nun ja.
Eigentlich sogar schon ein kleines Stück weiter.


“Das ist doch fast im Ziel!?”

“Neeeiiiiiiin!
Das ist noch so weit!

Noch sooo unendlich weit.”


“Sollen wir kommen?”
“Jaaaaaaa….!”

Gatte und Hund machen sich also auf den Weg.
Mir entgegen.

Ich beschleunige wieder.
Es ist ja Rettung unterwegs.


“Und wo, wo, wo verflixt, bleibt die gelbe Hose??”

Mein persönlicher Rettungsdienst trifft mich etwa bei Kilometer 33.
Das hat sich so richtig gelohnt:
Noch mehr als ein ganzer Kilometer übrig vom Rennen!

Genug, damit auch der Gatte noch einen solidarischen Bauchklatscher hinlegen kann und wir im Ziel dann im authentischen “Kind-vom-Dorf-Partnerlook” auftreten können.

Dort komme ich nach 3:22:19 Stunden tatsächlich an.
Als zweite Frau.

Froh und Glücklich.


Und möchte keinen Meter dieses Rennens missen.
Unvergesslich!


P.S.: Die gelbe Hose hab ich schließlich gefunden. Das gemeinsame Zielbier war vorzüglich ;-)

1 Kommentar

  • Beatrice Blaue
    27. Juli, 2018 um 20:08

    Nolle.......ich kann dir absolut nachempfinden, dieses Wechselbad der Gefühle. Auch ich bin bei 4k gestürzt. Mein Knöchel hat wahnsinnig geschmerzt und ich dachte mir nur „Hey, es sind noch 30 km , wie soll ich das nur durchstehen“? Ich gebe nicht auf - niemals gebe ich auf! Also lief ich weiter und weiter .....Mein Wille war sehr stark, bis ca 1000 m vorm Ziel. Da verliesen mich meine Kräfte und ich stürzte erneut. Erst auf meine rechtes Knie und dann ist irgendwie mein Körper auf die linke Seite gefallen. „Das kann doch jetzt nicht war sein“, so kurz vor dem Ziel! Mein persönlicher Support half mir also wieder auf die Beine und los ging es. Ich habe keine Erklärung wo ich die Schmerzen gelassen habe, aber es ging weiter :-) Als mir dann noch ein netter Herr zurief,, ich wäre die 3. Frau, bin ich voller Euphorie und Willensstärke weitergelaufen und wurde mit einer grandiosen Zeit von 3:36:21h belohnt. Das war mein erster TrailLauf überhaupt und ich freue mich riesig auf nächstes Jahr. Vielleicht sieht man sich da liebe Nolle? Ich gratuliere dir von ganzem Herzen zu dieser starken Zeit und zum 2. Platz.

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