„Komm doch zum Kaffee“ hat er gesagt. Nun, das ließ ich mir nicht zweimal sagen! Ich habe Kleckslkuchen besorgt und bin eine halbe Stunde raus aus Dresden, aufs Land, gefahren. Zu Hans-Dieter Jancker.
Noch bevor sich die Tür zum hübschen Fachwerkhaus öffnet, sehe ich durch das Fenster das orangefarbene Rennsteiglauf-Finishershirt leuchten. Kurz darauf empfängt mich mit stürmischer Freude Irish Setter Aco. „Der ist häufig als Laufbegleiter mit von der Partie.“, strahlt Hans-Dieter mich an und nimmt mich mit. Ich staune nicht schlecht: hinter dem Fachwerk verbirgt sich eine gemütlich großzügige Wohnlandschaft. In der offenen Küche liegen schon die Rezepte für den morgigen Tag bereit. Dahinter versteckt sich, mit Balken im Raum abgegrenzt, eine gemütliche Stube. „Haben wir alles selbst gemacht.“, erwidert er beiläufig bescheiden mein Staunen und verweist damit auf seinen Partner. Inzwischen setzt Hans-Dieter Kaffee an und beginnt zu erzählen.
Die Anfänge.
1987 - genau dreißig Jahre ist der erste Marathon her. Wirklich angefangen hat Hans-Dieter aber als Turner. „Aber da war ich war zu feige, über dieses Pferd oder diesen Bock zu springen. Also lieber Laufen.“ Auch Sprint war nicht das Richtige, also versuchte er sich schnell an längeren Strecken aber von Anfang an war Crosslauf die Lieblingsdisziplin. Beim Wehrdienst bot das Lauftraining dann die Gelegenheit, die Kaserne öfter außer der Reihe zu verlassen. Heute, mit 65 Jahren, blickt Hans-Dieter auf eine beachtliche Läuferkarriere zurück. Er stand mehrfach bei deutschen Klassikern wie Schweriner Fünfseenlauf, Kernberglauf oder Rennsteiglauf an der Startlinie. „Die muss man eben gemacht haben. Das ist toll und gehört dazu.“ Aber das scheint dem drahtigen Strahlemann dann doch nicht ganz zu reichen. So gehören auch Finisher-Medaillen von legendären Marathons sowie großen Berg- und Ultraläufen zur Sammlung. Die ist auch dieses Jahr weiter gewachsen: Hans-Dieter gewann seine Altersklasse beim Virgin Money London Marathon in sagenhaften 3:00:32 Stunden. Außerdem wurde er deutscher Meister seiner Altersklasse im UltraTrail und finishte zum zweiten Mal den Transalpine-Run. Bei regionalen Läufen mischt er sowieso regelmäßig ganz vorne mit – nicht nur in der M65.
Training „freischaffend nach Peter Greiff“
Dafür trainiert Hans-Dieter fünfmal in der Woche. Am Jahresbeginn wird eine Wettkampfplanung gemacht. Anhand dieser bekommt er seinen Plan vom Laufpapst - wissend, dass er ihn dann auf seine eigene Weise interpretieren und erfüllen wird. „Ich mach doch viel zu viele Wettkämpfe!“, schmunzelt er. Zum reinen Tempotraining hingegen, kann er sich nur schwer überwinden. „4:30er Intervalle im Training? Allein? Ach Nö.“ Lieber nutzt er regelmäßig die Läufe vor der Haustür als Tempospritzen. Erfahrung und Erfolg geben ihm Recht.
Dann reden wir über Bestzeiten.
Marathon? „Mh. 2:46?“ Halbmarathon? „Mhhh. Eine 1:18 oder sowas?“ Rennsteig? „Och. Das ist aber nun wirklich schon eine Weile her. Außerdem haben sich doch da die Strecken inzwischen geändert!“ Ich lasse nicht locker. Rennsteig? „Na so 5:57 Std. oder so? Irgendwas unter sechs Stunden.“ „Oder so“ – es waren genau 5:57:28 im Jahr 2004. 1989 lief Hans-Dieter die damals noch 65 km in 5:24:59 und wurde 14. in der M35. Er ist mindestens genau so bescheiden wie ehrgeizig. Auch nach der 10-Kilometer Zeit frage ich noch. Er prustet: „Pfff! 37 Minuten? 38 Minuten? Jetzt schaffe ich da aber keine 40 mehr.“ Nun, ich kenne genügend Läufer – mich eingeschlossen – die das auch nicht schaffen, von 37 oder 38 Minuten aber gar nicht erst zu träumen wagen.
65 Jahre!
„Da merke ich eben das Alter. Ich bin halt einfach nicht mehr so schnell.“ An den Kollegen aus der Altersklasse orientiert er sich allerdings nicht. „Ich kenne meinen Rhythmus, den laufe ich. Kontinuierlich. Wie ein Uhrwerk. Und wenn ich mich dann umschaue im Feld und dieses oder jenes bekannte Gesicht neben mir entdecke, dann weiß ich wie ich im Rennen liege!“ Ein einziges Mal habe er ein Rennen im Zielsprint für sich entschieden. „Schließlich sagt immer noch der Kopf den Beinen was zu tun ist.“, fügt er noch beiläufig hinzu.
Die Zeiten seien eben etwas schlechter, ansonsten spüre er keine Veränderung. „Ich kann auch nicht sagen, dass ich länger für die Regeneration brauche.“ Für ausgiebige Kraft- und Coreübungen hat er keine Zeit. Lediglich ein paar Mobilisationsübungen am Morgen nach dem Aufstehen gehören zur Routine. Ich staune. Aber ich gewöhne mich daran, bei diesem Besuch. Seit Juni ist Hans-Dieter Rentner und kann sich nun endlich ausgiebig und ohne Hast um Haus und Garten, Küche und den Sport kümmern.
Ein Blick zurück.
Natürlich frage ich auch nach den Höhepunkten seiner Läuferkarriere. Ohne zu überlegen antwortet er: „Die beiden Transalps. Das ist einfach etwas so Besonderes.“ Ich weiß wovon er spricht (hier findet ihr den Beitrag zum meinem Transalpine Abenteuer), wenn er die Vorstartspannung, die Ängste und schlaflosen Nächte beschreibt, die Herausforderung die das Rennen als Teamlauf birgt – und das riesige Glücksgefühl beim Überqueren der Ziellinie. Im Anschluss berichtet er noch mit leuchtenden Augen von Stadioneinläufen in Stockholm und Berlin und von seinem ersten Zermatt Marathon, den Regen und Kälte zur Herausforderung machten noch bevor es überhaupt in die höheren Berglagen ging. Hans-Dieter schaffte es aufs Altersklassentreppchen. Nächstes Jahr möchte er vielleicht wieder hin.
Noch lange nicht genug.
Ganz oben auf der Wunschliste für 2018 stehen aber die 100 Kilometer von Biel. „Die muss man eben auch mal gemacht haben.“, meint er wie viele andere auch. Da muss wohl etwas dran sein? In der Vorbereitung darf dann freilich der Rennsteiglauf nicht fehlen und den Einlauf im Olympiastadion beim S 25 Berlin (ehemals BIG 25 Berlin) möchte er auch nochmal mitnehmen. Der genaue Plan wird dann aber erst im November geschmiedet, denn im Moment liegt der Fokus auf dem 21. Oktober. Nach 6-Stundenlauf und UltraTrail träumt Hans-Dieter – heimlich versteht sich - nun davon das Triple perfekt zu machen und sich den dritten deutschen Meistertitel in diesem Jahr zu holen: über 50 Kilometer Straßenlauf. Ungeachtet dessen ist 2017 schon jetzt sein erfolgreichstes Laufjahr. „Wenn ich Schwäbisch-Gmünd überstanden habe, dann mache ich im November wirklich mal ruhig. Also maximal 20 Kilometer am Tag.“, schmunzelt er und zwinkert er mir zu. „Ich freue mich schon auch, wenn ich mal einen Tag Ruhe habe. Und dann freue ich mich, wenn ich am nächsten Tag wieder laufen kann.“
Das Geheimrezept.
Über so viele Jahre, so kontinuierlich und auf diesem Niveau erfolgreich Sport treiben. Ich frage Hans-Dieter nach seinem Geheimrezept. „Ziegenquark mit Kräutern“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Nach meinem ersten Eindruck bei der Ankunft hier, wundert es mich nun nicht mehr, dass zum Haushalt auch eine Schar Ziegen gehört und der Quark selbstverständlich selbst gemacht ist. „Auf den Tisch kommt, was aus dem Garten kommt. Ein bisschen nach Dr. Feil – weil es gut tut und einfach auch, weil es schmeckt!“ Weil es schmeckt und gut tut, gibt es außerdem täglich Kaffee und Kuchen. Nicht ganz nach Dr. Feil, aber zu schaden scheint es nicht.
Hans-Dieter hat gebacken. Mit meinem gekauften Klecksl sehe ich neben seinem frischen Apfelkuchen ein bisschen alt aus. Verputzt wird trotzdem von jedem ein Stück. Endlich mal ein Geheimtipp, der mir so richtig gut gefällt! Dann nimmt mich Hans-Dieter noch mit in den Garten und ich darf Ziegenbock Bruno und seine fünf Damen kennen lernen. Für den Rest des Tages rieche ich nach Ziege und bin ein bisschen verzaubert. Verzaubert von der kleinen Idylle auf dem Land, 30 Minuten vor Dresden. Verzaubert aber vor allem von dieser Kraft und Frische, dieser Motivation und Selbstverständlichkeit im Sein. Die möchte ich mit 65 Jahren haben! Danke Hans-Dieter. Ich bewundere dich - und jetzt noch ein bisschen mehr.
Die im Beitrag genutzten Fotos entstanden beim Besuch bzw. stammen aus der Privatsammlung von Hans-Dieter. Die Bilder des Transalpine stammen von: Sportograf.