Mein Korridor ist 70 Kilometer lang und ich habe mir dieses Wochenende überlegt, einfach mal zu Hause zu bleiben; die Beine hochlegen und am Nachmittag ein alkoholfreies Bier in der Küche trinken. Marco hat einmal zu mir gesagt: du fährst immer so weit weg. Recht hat er, wieso immer in die Alpen rammeln, wenn die schönen Trails im Vorgarten liegen. Einmal im Jahr lockt der Sachsentrail die Läufer in den Osten und diesen Namen trägt er mit Würde.
Meine Orientierung ist grenzwertig schlecht, aber auch ich erkenne die Umgebung, nach dem vierten Jahr in Folge, wieder. Die bekannten Gesichter lächeln mich an, vielleicht habe ich etwas auf der Nase - es wirkt familiär. Das Race-Briefing ist charmant und von der (Ziel-)Verpflegung kann sich (jeder!) Veranstalter inspirieren lassen. Zwei Wochen zuvor, erkämpfte ich ein Bier im Ziel und das wurde auf meiner Startnummer vermerkt. Wir vom Sachsentrail lachen nur darüber! Haha!
Allmählich rückt der Minutenzeiger auf die Startzeit vor. Ich trommle meine Gang, mit himmlischen Schlachtgesängen, zusammen und wir schießen ein lustiges Foto. Schwarz-weiß und keiner lacht. Herrlich! We never joke around on race day.
In der Startaufstellung strahle ich, um die innere Anspannung zu überspielen, die ersten zwei, drei Kilometer läuft man im Fokus der Kameras, Norbert im Grenzgraben und kurz vor Schluss nochmal die Haare kämmen. Ich kenne das Streckenprofil, drum lerne ich nun Fotospots. Ich habe mir Durchgangszeiten auf die Startnummer geschrieben und eine Rennstrategie zurechtgelegt, wie ein Profi - ich muss grinsen. Fragt mich jemand vor einem Lauf, habe ich immer eine Zielzeit im Kopf, ob ich sie erreiche, ist die eine Sache, aber es hilft die Reserven aufzuteilen. Motivation ist kostbar und man greift nach jedem Strohhalm.
(Danke an den weitgereisten exito - Gipfelstürmer Stefan für das Foto)
Die ersten Verpflegungen liegen hinter mir und ich kann mich etwas gehen lassen, zum Frühstück gibts Schokolade - als Gel, Latte Macchiato - als Gel und Salted Watermelon - als Gel. Läufer achten auf eine ausgewogene Ernährung.
Ich passiere die Marathonmarke, mit etwas mehr als 1000 Höhenmetern, in dreieinhalb Stunden. Angestachelt von der Zeit und halb im Flow, bedauere ich nur, die ganzen Leckereien, an den Verpflegungsstellen, nicht angerührt zu haben. Hoffentlich gibt es Butterkekse im Ziel. Manchmal werden die langen Distanzen zu einem Ess- und Trinkwettbewerb. Ich kann hierbei empfehlen auch das zu trainieren.
Mittlerweile klebt mein kleiner Bauchladen, weil ich kontinuierlich leere Gelpackungen hineinstopfe. Für das Mittelstück wären im Vorfeld ein paar mehr Tempoeinheiten gut gewesen, meine Beine rotieren nun ganz von allein und ich versuche, meine miserable Laufform aufrecht zu halten: never change a running system. Ich schaue auf die Uhr und phantasiere vor mich hin, Pace, Zeit, Distanz, man kann sich alles schön rechnen. Der gpx Track läuft nebenher - ich kenne die Gegend und fordere, die gut positionierten Flatterbänder zu einem Rennen heraus. Seit dem ersten Rennen am Sportpark Rabenberg, habe ich eine Lieblingsstation, irgendwo bei km 58, auf einer unendlichen Geraden: meine Flasche wurde entgegen genommen, ein paar Worte und ein Lächeln gewechselt und meine zweifelhafte Entscheidung, sämtliche Obststücke mit Unmengen an Salz zu bestreuen, in Frage gestellt. (Ich befürchte nun, der Artikel enthält mehr Lebensmittel als ein Kochbuch.)
Die letzte zehn Kilometer sind die schönsten, zum einen sind die Trails recht schick, zum anderen sind es die letzten zehn Kilometer. Der finale Anstieg liegt auch dieses Jahr abschnittsweise in der Sonne und ich hangele mich die Mountainbike Trails nach oben. Fahrrad fahren ist so viel leichter! (Hat er das jetzt wirklich geschrieben? Mein Artikel, meine Regeln!) Der Blick schweift in die Zielgerade, vor vier Jahren lief ich auf Platz sieben und habe auf dem kurzen, letzten Stück meine Startnummer mit Namen, für die Ansage im Zieleinlauf, vorgezeigt. 2018 höre ich nur ein leises „es ist Attila“. Ich bin gern hier und jedes Jahr sammeln sich neue Anekdoten - wie auf einer peinlichen Familienfeier.
Einen Augenblick lang schaue ich auf die handgeschriebenen Zeiten, auf der Startnummer, lege diese beiseite und nehme, mit einem breiten Grinsen, das erste kleine, von viele großen Bieren, in die Hand. Bewaffnet mit Butterkeksen, Melone, Schokolade, Kuchen, Riegel, Cola, Nüssen und einem kleinen Glas Wasser warte ich auf den Rest der Familie, die dieses Jahr die maximale Anzahl erreichte. Zu Hause ist’s doch am grünsten!
2 Kommentare
Marko
04. Oktober, 2018 um 22:10Ich glaube du hast den Höllenhund vergessen zu erwähnen, der uns etwa bei der 20 km Marke gejagt hat :)
Marco
01. August, 2018 um 21:09Würde ich dich nicht kennen, könnte man denken du bist hauptsächlich zum SachsenTrail gekommen um dir die schöne Gegend anzuschauen und dich durchzufuttern;-)